„Solange Sie nicht flächendeckend 360°-Feedback einführen wollen in unserer Firma, ist alles gut“, sagte der CEO einer Privatbank im Gespräch zu mir. Ich unterliess die Frage nach dem warum und auch eine Erläuterung, weshalb ich 360°-Feedback für bestimmte Fragestellungen als sehr effektives und sinnvolles Instrument erachte. 360°-Feedback polarisiert, es wird entweder stark befürwortet oder ebenso stark abgelehnt. Das mag mit grösster Wahrscheinlichkeit auf persönlichen Erfahrungen beruhen, die positiv oder negativ waren.
Was genau ist ein 360°-Feedback?
In dieser Art von Feedback wird das Verhalten einer Personen (= FeedbackempfängerIn) im Arbeitskontext von mehreren Personen (= Feedbackgebenden) aus unterschiedlicher Perspektive beurteilt. Klassischerweise sind die Feedbackgebenden:
- der bzw. die direkte Vorgesetzte
- KollegInnen aus dem gleichen Arbeitsteam
- Personen aus dem näheren Arbeitsumfeld, also aus anderen Bereichen
- die direkten Mitarbeitenden, falls es sich um eine Führungsperson handelt
- Kunden — so erweitert sich der Kreis der Feedbackgebenden über die Unternehmung hinaus
360°-Feedback ist keine exakte Wissenschaft, erlaubt aber ein sehr praxisnahes Feedback über das Verhalten und kann somit als Standortbestimmung für den Feedbackempfangenden in Bezug auf persönliche Stärken und Schwächen verstanden werden. Natürlich sind die Antworten gefärbt von der beruflichen und persönlichen Beziehung zwischen Feedbackgebenden und –Empfangenden. Das kann eine Schwäche des Instruments sein, muss aber nicht, wenn richtig mit den Resultaten umgegangen wird.
Was gilt es zu beachten für die erfolgreiche Ein- und Durchführung des Instrumentes?
Im Zentrum stehen 3 Punkte, die es unbedingt zu berücksichtigen gilt:
1. Design des Instrumentes
- Präzise Aussagen und wichtige Faktoren sollen in verständlicher und eindeutiger Sprache abgefragt werden. Dies bedeutet keine komplexen Schachtelsätze und nur Abfragen von Verhalten, das tatsächlich beobachtet werden kann.Die Anonymität der Befragung soll jederzeit gewährleistet sein. Falls Zweifel an der Anonymität des Instrumentes aufkommen, ist das Risiko gross, keine ehrlichen Antworten zu erhalten; die Befragung verliert so an Aussagekraft.
2. Transparente Information und Kommunikation an alle Beteiligten
- Von Beginn weg muss transparent sein, was Ziel und Zweck des Feedbacks ist, wer eingeladen wird zur Teilnahme, wie der Prozess verläuft, was mit den Antworten und den Resultaten passiert.
3. Begleitetes Feedback und konkrete Folgemassnahmen
- Die Offenlegung der Ergebnisse gegenüber dem Feedbackempfangenden ist zwingend. Gleichzeitig ist es ist empfehlenswert diesen in einem Gespräch zu unterstützen, um die richtigen Schlüsse zu ziehen und Folgemassnahmen festlegen zu können. Eine Information an die Feedbackgebenden ist ebenfalls sinnvoll.Eine detaillierte Offenlegung der Ergebnisse ist allerdings nicht nötig, eine Grobinformation hingegen wertvoll; schliesslich haben sie sich Zeit und Mühe genommen, um Feedback zu geben.
Insgesamt wichtig bei der Umsetzung eines 360°-Feedback-Prozesses: für alle Beteiligten muss transparent sein, dass mit den Ergebnissen der Befragung etwas passiert, sprich konkrete Massnahmen daraus abgeleitet werden.
Was genau macht es aus, dass ein 360°-Feedback eine positive Erfahrung für alle Beteiligten wird? Wann macht es Sinn dieses Instrument einzusetzen und wann eher nicht?
Wie bei jedem Instrument hängt der Erfolg vom richtigen Umgang damit ab. Für welche Fragestellung wird es eingesetzt? Stimmt die Qualität? Gibt es Follow-up Aktivitäten? Das sind die Erfolgsfaktoren:
1. Einsatz
360° Feedback ist kein Allzweckinstrument, das für jegliche Fragestellung eingesetzt werden sollte. Für Fragestellungen mit Entwicklungsfokus eignet sich das Instrument besonders, vor allem dann, wenn es in ein Entwicklungsprogramm eingebettet wird. Bei einem solchen Einsatz kann es sogar Vorteile gegenüber den gängigen psychometrischen Verfahren haben, da es massgeschneidert für die Zielgruppen und deren Themenbereiche entwickelt wird.
Keinesfalls darf das Instrument als Plattform für das Überbringen einer schlechten Botschaft missbraucht werden, weil z.B. bislang vermieden worden ist, ein direktes kritisches Feedback zu geben. Wenn in einer Unternehmung keine Kultur der Offenheit und der Rückmeldung besteht, hat ein 360° Feedback ohnehin einen schweren Stand.
Der Zeitpunkt der Durchführung ist sorgfältig festzulegen und es sollte nicht in einer Phase durchgeführt werden, in welcher die Feedbackgebenden zeitlich stark beansprucht oder nicht verfügbar (z.B. Jahresendprozesse) sind.
360° Feedbacks können für Standortbestimmungen, Entwicklungsprogramme und bei der Einführung von neuen Kulturwerten eingesetzt werden, um nur einige Einsatzgebiete zu nennen. Durch den Multiplikationsfaktor (ein häufig genannter Kritikpunkt, da verschiedene Personen in den Prozess einbezogen sind und somit Ressourcen gebunden werden) wird ein positiver Nebeneffekt erzielt, da mehrere Personen für gewünschte Verhaltensweisen sensibilisiert werden, auch wenn sie nicht im Zentrum stehen als Feedbackempfangender.
2. Qualität der Feedbacks
Die Qualität Güte des Ergebnisses hängt von den Feedbackgebenden ab. Diese müssen ausgewogen ausgewählt werden, um allfällige blinde Flecken aufzeigen zu können. Kritische Stimmen sollten durchaus miteinbezogen werden. Die Feedbackgebenden sollten den Feedbackempfangenden über einen längeren Beobachtungszeitrahmen kennen, um ein fundiertes Urteil abgeben zu können. Der Kreis der Feedbackgebenden sollte möglichst umfassend sein, nicht zuletzt auch um den Aspekt der Anonymität und ein objektiveres Bild zu gewährleisten.
3. Folgemassnahmen
Mit der Befragung und Konsolidierung der Resultate ist der Prozess nicht abgeschlossen. Ein Feedbackgespräch mit einem neutralen (also kein Feedbackgebender) und erfahrenen Feedbackcoach kann helfen, das Feedback zu verstehen, ins rechte Licht zu rücken und geeignete Massnahmen abzuleiten.
Es kann durchaus sein, dass auch kritische Feedbacks kommen, die vom Empfangenden allenfalls nicht verstanden werden oder verletzend wirken. Das kann Widerstand generieren gegenüber den Resultaten oder gegenüber dem Instrument. Gerade die letzte Phase im 360° Feedback Prozess ist entscheidend dafür, wie das Instrument wahrgenommen wird. Was passiert mit den Resultaten? Werden die Instrumente für den kommunizierten Zweck eingesetzt oder für einen nicht offengelegten missbraucht? Wenn es nicht zu einer Nachbearbeitung kommt, kann das 360° Feedback keine nachhaltige Wirkung entfalten.
In einer Einführungspräsentation zum 360° Feedback wurde ich von einem Feedbackempfänger gefragt, ob er sein Verhalten denn zwingend verändern müsse aufgrund der Resultate. Ich entgegnete, 360° Feedback fördere die Selbstverantwortung indem es mit folgenden Fragen konfrontiert:
- Kann ich das Feedback annehmen und mich meinen allfälligen blinden Flecken stellen?
- Wie werde ich wahrgenommen von meiner Umwelt und was hat mein Verhalten für Auswirkungen?
- Ist mein Verhalten zielführend, oder sollte ich mir überlegen, mein Verhalten anzupassen?
Das ist eine Chance; gerade für Menschen in Positionen, in denen sie nicht mehr oft ehrliches und offenes Feedback erhalten. Deshalb kann ein gut ein- und durchgeführtes 360° Feedback eine grosse Bereicherung sein für den Einzelnen und für die Unternehmung.
Dieser Artikel wurde 2013 auf dem Kalaidos Blog veröffentlicht.